Übernahmen und Überlassungen im Archiv des Literaturhauses 2022
Es herrschen stets gemischte Gefühle vor, wenn das persönliche Archiv einer Autorin oder eines Autors übernommen wird. Dabei spielt es weniger eine Rolle, wann aus den Manuskripten, Werken, persönlichen oder geschäftlichen Dokumenten und Korrespondenzen ein „NACH“-lass geworden ist. Ganz gleich welchen Inhalt in welcher Form der Nachlass enthält, so ist er doch stets Zeugnis eines Schriftsteller:innenlebens, das es gilt für die Nachwelt zu bewahren. Wir danken den jeweiligen Überlassern, wie Familienmitgliedern oder Freunden, für das Vertrauen, das sie dem Archiv des Literaturhauses entgegenbringen.
Noch im Frühjahr 2022 wurde ein umfangreicher Nachlassbestand des Schriftstellers Ludwig Schumann (1951-2019) an das Literaturhaus übergeben. Ludwig Schumann hat für viele Jahre die Magdeburger, wie auch die regionale Kultur- und Literaturlandschaft bereichert. Er initiierte zahlreiche literarische Projekte, die Menschen miteinander verbanden, war Chancengeber und Brückenbauer. So zum Beispiel als Leiter von Schreibprojekten für Schülerinnen und Schüler für den Friedrich-Bödecker-Kreis, als (Co-)Leiter der Schreibwerkstatt TalentLos! in der JVA Burg-Madel oder auch als Mitbegründer von Initiativen, die heute nicht mehr aus dem Kulturleben der Stadt Magdeburg wegzudenken sind. Ludwig Schumann war Mitglied im Förderverein der Schriftsteller, im Friedrich-Bödecker-Kreis sowie im PEN-Zentrum Deutschland und wirkte außerdem als Autor bei den Gruppen „stattGeflüster“ und Amadeuskomplott. Bereits im November des Jahres 2021 sollte eine Gedenkfeier für Ludwig Schumann stattfinden, die jedoch erst im Mai 2022 im Farnhaus der Grusonschen Gewächshäuser gebührend umgesetzt werden konnte. Mit dem Nachlass konnte zunächst die begleitende Werkschau ergänzt und abgerundet werden. Er enthält vor allem zahlreiche Veranstaltungsdokumente, Manuskripte, Projektunterlagen, Briefwechsel, Notizbücher und Pressematerial zu einzelnen Projekten.
Neben den Übernahmen von größeren Aktenbeständen zu einer Schriftstellerin oder einem Schriftsteller, wurden im Laufe des Jahres 2022 auch bestehende Teilnachlässe erweitert: dank Ellen Schernikau konnten wir den Bestand von Ronald M. Schernikau (1960-1991) – unangepasster Schriftsteller, Protagonist der Schwulenbewegung und bekennender Kommunist – um einige Dokumente, Werke und auch Fotos erweitern. Desgleichen wurde dem Literaturhaus weiteres Bild-Material und persönliches Hab & Gut als anschauliche Ergänzung zum umfangreichen Schriftstellernachlass Heinz Kruschels (1929-2011) überlassen. Der langjährige Vorsitzende im Friedrich-Bödecker-Kreis/Landesverband Sachsen-Anhalt erlangte u.a. mit dem Roman „Gesucht wird die freundliche Welt“, der als Sabine Wulff verfilmt wurde, Bekanntheit.
Neu hinzugekommen zum Archivbestand des Literaturhauses sind dank Förderer des Literaturhauses, die zugleich Freunde des Schriftstellers gewesen sind, zahlreiche Werke von Dieter Paul Meier-Lenz (1930-2010) sowie eine umfangreiche Sammlung der Zeitschrift die horen, deren Redakteur Meier-Lenz von 1968-2005 gewesen ist. Dieter P. Meier-Lenz, der in Magdeburg die Bismarckschule und später das Domgymnasium besuchte, schrieb vor allem Lyrik, Prosa sowie Essays und Kritiken und war Mitglied im internationalen PEN.
Bewegung gab es auch im Mehmed-Ali-Pascha-Archiv, das nun im Literaturhaus seit etwas mehr als einem Jahr fest etabliert ist. Nach dem beachtlichen Werk „Der Pascha von Magdeburg. Der Orient in Mitteldeutschland“ wurde kürzlich mit „Zweiheimisch. Die Erben des Paschas von Magdeburg“ eine neue Veröffentlichung gefeiert. Darin kommen Autor:innen, Künstler:innen aus der Ukraine, aus der Russländischen Föderation, Türkei, Syrien, Polen, Österreich u. a. zu Wort, die die internationale Dimension der „Pascha-Projekte“ aus Sachsen-Anhalt widerspiegeln.
Gegen Ende des Jahres wurde dem Literaturhaus der literarische Nachlass der Magdeburger Schriftstellerin und Herausgeberin Birgit Herkula (1960-2020) übergeben. Birgit Herkula, die zugleich Gründerin und jahrelange Leiterin der Schreibwerkstatt für Frauen im Literaturhaus Magdeburg war, ist u.a. im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, im Förderverein der Schriftsteller Sachsen-Anhalt e.V., im Friedrich-Bödecker-Kreis und im Geschichtsverein Magdeburg und Umgebung e.V. aktiv gewesen. Die Vielseitigkeit und sorgfältige Arbeitsweise der Autorin spiegelt sich in dem Nachlassmaterial, das sowohl eigene Werke, d.h. Texte und Manuskripte enthält, als auch über ihre Arbeit als Dorfschreiberin in Olang sowie über zahlreiche Literaturprojekte für Groß und Klein Auskunft gibt, die wiederum Birgit Herkulas unermüdliches Engagement verdeutlichen. In ihren zahlreichen „Schreib- und Entdeckerprojekten“, bei denen es vor allem darauf ankam, dass Kinder und Jugendliche aktiv mitgestalten, stehen meist soziale Fragestellungen im Mittelpunkt – seien es Probleme in der Schule, das eigene Älterwerden oder die Integration von Kindern anderer Herkunft.
Einen Höhepunkt zum Jahresende bescherten uns die Nachforschungen der Diplom-Bibliothekarin Kristina Stella in den Nachlass-Beständen des Literaturhauses. Die Herausgeberin hat sich intensiv um die Brigitte-Reimann-Forschung verdient gemacht und vor kurzem erfolgreich den 1953 in der DDR zensierten Debütroman „Die Denunziantin“ von Brigitte Reimann veröffentlicht. In ihrer Nachlese zur Veranstaltung am 1.12. berichtet Kristina Stella über die Brigitte-Reimann-Schätze im Literaturhaus (Danke!). Nur so viel sei verraten – Kristina Stellas Forschungen bei uns im Haus gehen weiter, wir dürfen gespannt sein, was noch für „Schätze“ von ihr gehoben werden!