Thomas Wischnewski: Lieber Ludwig...
Lieber Ludwig,
würdest Du jetzt als „Langsamer Leser“ schreiben, flösse Dir sicher viel über diese eigentümliche Pandemie aus der Feder. Deine klare Kritik über die Politik könnte ich lesen, genauso wie aus jedem Deiner Texte die Hoffnung verbreitete. Hoffnung zu verbreiten, war Deine größte Gabe. Diese hallt in mir bis heute nach. Hart würdest Du mit mangelnder Verantwortung bei politischen Entscheidern ins Gericht gehen, ohne andere für ihre Ängste zu schelten. Mir fehlt die Präzision, mit der Du das Geschehen der vergangenen Monate seziert hättest. Ich vermisse es, über den Mut zu lesen, den Du anderen mit Deinen Worten einpflanzen würdest. Ich hätte Dich halten wollen, hier in dieser Welt. Deine Stimme, die Du in Deinen Texten erheben würdest – ich könnte sie hören – und sie klänge nach dem Dir eigenen festen Ton. Deine Botschaften wären wie Brücken und Säulen. Sie halten und tragen. Mit ihnen könnte man sich auf den Weg machen, nicht nur ich, auch viele andere, die liebend gern an Deinen Worten hingen.
Jahrhundertereignissen hast Du Dich ohnehin gern in Texten genähert. Die Himmelsleiter hast Du gar erklommen, um Mitläufer von der Kaiser- über die Nazi- bis zur Diktatur der Kommunisten zu verfolgen. Doch nie hast Du das „tätige Mitlaufen“ vom Moralthron abgekanzelt, sondern Verstrickungen, Zwänge und Ohnmachtszustände aus den Geschichten von Menschen herausgeschnitten. Unbarmherzig würdest Du auch heute mit den Unbarmherzigen umgehen. Dieser Fels in der Brandung gegen jede Meinungsflut, der Du warst, der fehlt mir. Nicht, dass ich mir keine Meinung über das aktuelle Geschehen machen könnte, es ist Deine Meinung, die fehlt. Sie wäre tausendmal bereichernder als die Meinungen von Tausenden. Diesen schnellen Vor- und Urteilen, die heute jede Zeit überschüttet, denen würdest Du wie gewohnt als langsamer Leser begegnen. Würdest mit Deiner Art auf die Welt zu blicken, Wellen brechen und zugleich Leuchtturm sein.
Dein nie versiegender Hoffnungsquell würde sich von Zeppernick aus in Raum und Zeit ausschütten. Wie viele könnten sich daran laben und würden Mut und Zuversicht daraus trinken. Sogar im Angesicht des eigenen Endes bliebst Du die Hoffnung. Ich weiß, dass Du weißt, dass Du fehlst. Aber ich will es hier dennoch sagen. Wir müssen uns der gegenseitigen Einsicht versichern, dürfen nie stumm aneinander vorübergehen und glauben, der Gedanke an andere reiche. Deshalb, Ludwig, muss Dein Fehlen hier benannt sein, als Erinnerung an das Gewicht Deiner Worte. Du würdest es doch genauso tun. Sich dem Druck Deiner Aussagen heute nicht mehr aussetzen müssen, ist erdrückend. Könnte ich die Last Deines Fehlens doch abstreifen! Das bleibt unmöglich. Nichts war stärker als die Kraft, die aus Dir sprach.
Auch wenn Du fehlst, bleibst Du. Die Hoffnung hast Du hiergelassen. Danke Ludwig.
Thomas Wischnewski, 26.11.2021
Thomas Wischnewski (geb. 1964, Magdeburg) arbeitet seit 1991 als Journalist, ist Mitbegründer sowie Herausgeber der Zeitschrift MAGDEBURG KOMPAKT (heute: KOMPAKT-ZEITUNG) sowie als Schriftsteller aktiv. Ende 2019 erschien sein Roman „Vielleicht Gewissheit“.