Albrecht Franke: LUDWIG SCHUMANN ZUM SIEBZIGSTEN GEBURTSTAG

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„Ich habe ein reiches und gutes Leben gehabt. Ich kann gehen. Ich will das noch nicht, weil es ja nach wie vor ein schönes Leben ist mit mancherlei wunderbaren Arbeiten, die man machen darf oder will.“ Dies schrieb mir Ludwig Schumann in einer E-Mail am 22. Mai 2018, genau ein Jahr vor seinem Tod. Dass er vom Tod sprach, verwunderte mich nicht, er war sehr krank – ich wusste das. Aber diese Worte klangen aus seinem Munde seltsam, so, als habe er begonnen, Frieden mit der Welt zu schließen. Das schien mir nicht zu ihm zu passen, und ich schob die unerwartete Weichheit darauf, dass der Anlass seines Schreibens die Mitteilung war, man habe ihn auf der letzten PEN-Vollversammlung als Mitglied vorgeschlagen und gewählt. Das empfand er als Ehre und den Einzug in eine neue künstlerische Heimat.

Auch an anderen Stellen spricht aus seiner Mail eine ungewohnte Milde – zumal es die erste schriftliche Nachricht nach einer längeren Periode des Schweigens war. Wir hatten uns während der Arbeit an einem Buch über und zu Mechthild von Magdeburg heftig gestritten, er hatte mir, weil ich die Fortführung verweigerte, die Freundschaft aufgekündigt. Nun hatten sich die Hitzköpfe auf beiden Seiten abgekühlt, und die Arbeit sollte nach einer Aussprache fortgesetzt werden.

Dass es dazu nicht mehr kam, das trage ich als Erinnerungslast. Ein Theologe, mit dem ich darüber sprach, sagte mir, dass zum Leben das Begreifen gehöre, nicht alles auf Erden zu Ende bringen zu können. Eine tröstliche Mahnung, die Ludwig Schumann, dem Koch, Pfarrer und Schriftsteller vielleicht gefallen hätte.

Am liebsten war er, das weiß ich, Schriftsteller. Ich lernte ihn kennen, da war er noch Pfarrer in einem Bördedorf und wollte das Schreiben zum Beruf machen. Ich habe keinen rastloseren Schreib-Arbeiter erlebt. Er hatte meistens mehrere, und hier darf man sich des strapazierten Wortes bedienen, Projekte auf dem Schreibtisch, was manchmal zu Verwirrung und Verzettelung führte. Und wenn er seine Zeitungskolumne „Ich bin ein langsamer Leser“ nannte, so hatte ich immer das Gefühl, er wolle sich damit selbst zur Gemächlichkeit ermahnen. Aber er wollte beweisen, sich und der immer weniger lesenden Umwelt, dass man schreibend leben und vom Schreiben leben kann. Für diesen Antrieb nahm er manches in Kauf, und ich glaube, auch eine ruinierte Gesundheit:

„Lesungen gehen. Allerdings muss ich dann auch bei Luft sein. Das war im vergangenen Vierteljahr ein Problem. In den kalten Nächten im März habe ich auf dem Steintritt gesessen, um wenigstens etwas an Luft zu bekommen. Manche Tage konnte ich vor Luftmangel nicht einmal aufstehen.“ So schilderte er mir seinen Zustand.

Bewundert habe ich ihn dafür, dass ihm, neben der unumgänglichen Brotarbeit, wirklich Gutes und Bleibendes gelang. Das sind für mich zum Beispiel die Gedichte des Bandes „Der Dreizeitenpsalm“ und des Bandes „Wasserhautseele“. Die Lyrik war die ihm am meisten gemäße Form, obwohl sie auch manchmal streitlustig, rau und derb wie ihr Verfasser sind, es gelangen ihm Verse von unerhörter Intensität und Zartheit, wie etwa im „mondlied“:  

                                                                                   schwester zeit

                                                                                  mach mich bereit

                                                                                  gevatter holt zur seligkeit

Dazu war er geneigt, aus der E-Mail hallt das nach.

Wir sprachen der E-Mail ein paarmal am Telefon miteinander, aber zum Gegenübersitzen, zu einem seiner Monologe, zu einer seiner Ereiferungen kam es nicht mehr, wie auch nicht zu meinen Widerworten und Ermahnungen.

Auch auf meinen Glückwunsch zum 70. Geburtstag am 29.11. hätte er wohl verzichtet. Viel wichtiger wäre es ihm gewesen zu hören: „Ich habe das und das und das von dir gelesen, Ludwig, und ich finde es gut.“ Und das ist ja der Fall.

Albrecht Franke (geb. 1950, Seehausen) war Schriftsteller und Lehrer und ist seit 2013 weiterhin als Autor, Herausgeber und Lektor aktiv. Er übernahm in den Jahren 2014 bis 2016 den Vorsitz des Fördervereins der Schriftsteller e.V. Zuletzt erschien 2019 die Biografie „Ein erfundenes Leben“ über seine einstige „Schreiblehrerin“ Christa Johannsen.


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