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Vortrag & Gespräch mit Juriy Prochasko (Lviv/Ukraine): Jüdisches Leben in der Ukraine, moderiert von Wolfram Tschiche
22 November 2023 @ 18:30 – 20:00
Das Thema „Jüdisches Leben in der Ukraine“ ist nicht nur wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine brandaktuell. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hat auch schon vor dem Angriffskrieg in einem hohen Anteil aus jüdischen Menschen mit Ursprung in der Ukraine und dem restlichen Teil der Sowjetunion bestanden.
Juriy Prochasko ist ein Hochschullehrer, Übersetzer und Psychoanalytiker aus Lviv/Ukraine. Wolfram Tschiche wird mit ihm gemeinsam die jahrhundertealte Geschichte des ukrainischen Judentums in seiner Vielfältigkeit erläutern, und darüber hinaus auch über das gegenwärtige jüdische Leben in der Ukraine informieren und diskutieren.
Veranstaltung des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt e.V. im Rahmen der 2. Jüdischen Kulturtage Sachsen-Anhalt
Eintritt frei.
Foto (c) Jurko Prochasko
Hintergrund
Über die Jahrhunderte hatte sich auf dem Territorium, dass wir heute die Ukraine nennen, ein vielgestaltiges jüdisches Leben entwickelt. Somit wurde im Laufe der Zeit die Ukraine eines der wichtigsten Zentren jüdischen Lebens weltweit; ohne die Gegenwart aller Ausformungen des Judentums – von Orthodoxen und Chassiden bis zu den Zionisten und assimilierten Modernisten -wäre das ganze Land nicht, was es geworden ist.
Jüdische Gemeinschaften waren in ihrer Geschichte immer wieder von Misstrauen, Diskriminierung und Pogromen durch die nichtjüdische Gesellschaft betroffen. Jedoch kein historisches Ereignis gefährdete die jüdische Existenz in einem solchen Ausmaß, wie der Versuch von SS, Einsatzgruppen und Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges, das Judentum in der Ukraine auszulösen. Bis 1941 lebten dort etwa 2,7 Millionen Juden, so viele, wie in keinem anderen europäischen Land. Verschiedenen Quellen zufolge fielen der Shoa 1,5 bis 1,9 Millionen ukrainische Juden zum Opfer. Das bekannteste deutsche Verbrechen in der Ukraine ist die Massenerschießung in der Schlucht von Babyn Jar in der Nähe von Kiew, wo innerhalb von zwei Tagen, am 29. und 30. September 1941, mehr als 33.000 Jüdinnen und Juden ermordet wurden.
In der Sowjetunion wurde über diese Tragödie weitgehend geschwiegen. Ende der 1940er Jahre kam es in der stalinistischen Sowjetunion sogar zu einer antijüdischen Kampagne. Sowjetische Ideale und die Definition als „Sowjetvolk“ ließen kaum Raum für die Erinnerung an die Judenverfolgung. Obwohl es in der Sowjetunion offiziell keinen Antisemitismus gab, wurden Juden diskriminiert. Die jüdische Religion und Kultur konnten nicht offen gelebt werden. Jiddisch sollte nicht gesprochen werden. Deshalb emigrierte seit den 1970er Jahren eine bedeutende Zahl sowjetischer Juden.
Als die Ukraine 1991 unabhängig wurde, konnte sich das jüdische Leben wieder frei entfalten. Die Menschen besannen sich ihrer jüdischen Wurzeln. Synagogen wurden eröffnet, es entstanden jüdische Bildungszentren und Mahnmale zum Gedenken an die Shoa wurden errichtet. Gegenwärtig leben etwa 300.000 jüdische Menschen in der Ukraine. Von diesen sind inzwischen – den Vereinten Nationen zufolge – Zehntausende vor dem russischen Angriffskrieg ins Ausland geflohen. Spektakulär waren die Berichte von einer Pilgerfahrt Tausender chassidischer Juden. die sich im Kriegsjahr 2022 auf den Weg zur jüdischen Neujahrswallfahrt in die ukrainische Stadt Uman machten, obwohl die ukrainische Botschaft in Tel Aviv davor warnte, in dieser Situation in jene Stadt zu reisen.
Während der Veranstaltung soll nicht nur die jahrhundertealte Geschichte des ukrainischen Judentums in seiner Vielfältigkeit erläutert, sondern darüber hinaus auch über das gegenwärtige jüdische Leben in der Ukraine informiert und diskutiert werden.